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aus den Kommunen

Träume haben wir genug!

Die Filmreihe „Aufstehen“ des Medienprojekts Wuppertal zeichnet ein differenziertes Bild von Jugendarmut, indem sie unterschiedlicher Biographien beleuchtet. Protagonist*innen sind die Jugendlichen selbst: Sie erzählen, wie ihr von Armut geprägter Alltag aussieht und wie sie ihn bewältigen.

„Manchmal sagt man seinen Freunden, hey, ich habe keine Zeit, ich bin auf eine Hochzeit eingeladen. Aber in Wirklichkeit hat man kein Geld und kann beim Lifestyle der Freunde nicht mithalten.“ Ein Jugendlicher beschreibt nüchtern wie es ist, in Armut aufzuwachsen und diese gekonnt zu vertuschen. In der Filmreihe „Aufstehen“ über Jugendarmut kommen Jugendliche zu Wort, deren Alltag von finanzieller Armut geprägt ist. Das Medienprojekt Wuppertal, eine medienpädagogische Jugendfilmeinrichtung mit Schwerpunkt Dokumentarfilm, hat den thematischen Impuls der LVR-Koordinationsstelle Kinderarmut aufgenommen und eine Filmreihe mit 13 verschiedenen Kurzbeiträgen produziert.

Mit dem Konsum wird Armut bewusst

Mit zunehmendem Alter empfinden die Heranwachsenden Armut als belastend. Der Beginn der Altersphase Jugend äußert sich für viele in Armut aufgewachsene Kinder als schmerzhaftes Erwachen. Angeheizt durch ihre Peer-Group und die Werbeindustrie, stehen die Jugendlichen unter Konsumdruck. Markengeräte und -kleidung kommen ins Spiel und selbstbestimmte Freizeitaktivitäten nehmen immer mehr Raum ein. „Mich hat Armut als Kind eigentlich nie gestört. Bis ich dann gemobbt wurde,“ erinnert sich ein Jugendlicher. „Bis ich 15 war, dachte ich, wir wären reich“, ergänzt ein anderer.

„Wenn man wenig Geld hat und wenig dafür kann“

Scham empfindet fast jede*r – für löchrige Socken, abgestellten Strom, Schulmaterial aus dem Discounter oder die Pfandflaschensammlung der Eltern. Soziale Vergleiche machen Armut noch schwerer zu ertragen. „Armut ist, wenn man weniger Geld hat als andere“, bringt es ein Junge auf den Punkt. „Warum haben wir eigentlich kein Haus?“ fragt sich ein Mädchen. Ein anderes Mädchen erinnert sich, wie beschämend es war, als einzige keine Schultüte bekommen zu haben. Ein Jugendlicher beschreibt, wie er sich abgehängt fühlt: Er habe das Gefühl, in einer „verkehrten Welt“ aufzuwachsen.

Die Sorge, wie es morgen und übermorgen weitergeht, begleitet die Teenager ständig. „Zum Monatsende hin wird das Geld knapp. Da guckt man dann, was man kauft, und was nicht“, so ein Jugendlicher. „Geld ist täglich Thema in der Familie“, bemerkt ein anderer. „Wir sind noch nie zusammen in Urlaub gefahren, das können wir uns nicht leisten“, erzählt ein Familienvater.

 „Meine Eltern haben genug Stress, die will ich nicht auch noch belasten“

Wenn sie über ihre Kindheit erzählen, wirken die Jugendlichen reflektiert, ordnen ihre Lebenssituation ein und unterscheiden klar strukturelle gesellschaftliche Probleme von eigenen verpassten Chancen. Ohne Umschweife geben sie ihre Hilflosigkeit zu. „Wenn jemand zu mir sagt, dass ich Hartz IV bin, dann werde ich traurig und wütend. Ab und zu flippe ich auch mal aus“, fasst Janick, 15 Jahre, seine Gefühle in Worte.

Auch wenn Armut für die befragten Jugendlichen immer mit Entbehrungen und Leid verknüpft ist – die Filmreihe offenbart auch einen zutiefst ermutigenden Kern: Die Teenager zeigen, wie sie ihre Erfahrungen mit Armut positiv einsetzen, jeder auf seine Weise. Mit Respekt – den Eltern gegenüber, die zurückstecken, um ihre Kinder bestmöglich zu fördern. Mit Ausdauer und Zähigkeit – beispielsweise dabei, sich peu à peu Fahrstunden für den Führerschein selbst zu finanzieren. Mit Großzügigkeit – das Wenige mit anderen zu teilen, die in einer ähnlichen Situation sind. Mit Dankbarkeit – für engagierte Lehrkräfte oder als Geflüchtete von einem sicheren Land aufgenommen worden zu sein. Mit Mut – sich von toxischen Beziehungen zu distanzieren und einen eigenen Weg zu gehen.

Eines haben die Jugendlichen gemeinsam: unverschuldet in finanzielle Armut hineingeboren, ringen sie um Chancen und um einen wohlwollenden, verständnisvollen Blick der Gesellschaft. Denn, wie es ein Junge sagt: „Träume haben wir genug!“

Der Filmreihe „Aufstehen“ gelingt es, tief in die Lebenswelt der Jugendlichen einzudringen, ohne sie zu stigmatisieren. Die Heranwachsenden vermitteln den Zuschauer*innen: Es ist keine Schande, über eigene Armutserfahrungen zu sprechen. Ja, ich bin arm, gibt der Vater einer geflüchteten Familie zu verstehen, aber ich schäme mich nicht dafür. „Mein Herz ist reich.“

Unter den Jugendlichen mit Armutserfahrungen finden sich unterschiedlichste Biographien, u.a. Waisen, Jugendliche mit Förderbedarf, Geflüchtete, Misshandelte. Nicht immer wollen die Befragten gezeigt werden, wenn sie über Armut sprechen. Hier erlaubt es der filmische Blick auf die Lebenswelt der Jugendlichen, einen Eindruck von Armut zu vermitteln. Auch eine Förderschullehrerin und ein Armutsforscher blicken aus Berufspraxis und wissenschaftlicher Perspektive auf das Thema Jugendarmut.

Fazit: Eine sehenswerte Filmreihe und wertvolle Dokumentation über Jugendarmut nicht nur für Berufsgruppen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Eine Rezension von Natalie Deissler-Hesse, LVR-Landesjugendamt

 

Die Filmreihe „Aufstehen“, Erscheinungsjahr 2020, 120 Min., freigegeben ab 0 Jahren, ist auf DVD und als Streaming/Download erhältlich unter: https://www.medienprojekt-wuppertal.de/aufstehen-filmreihe-ueber-jugendarmut.