kinderstark: Im Jahr 2014 wurde das Projekt „Generation Zukunft Arnsberg“ begonnen. Grundlage hierfür war eine Onlinebefragung von ca. 2.000 Jugendlichen. Ziel der Befragung ist es gewesen, Jugendliche an der Angebotsgestaltung der Kommune zu beteiligen. Was waren die Bedarfe der jungen Menschen und was wurde seitdem umgesetzt?
Eckhoff: Im Sommer 2013 wurde die Arnsberger Jugend in großem Rahmen nach ihrer ganz persönlichen Sicht auf Karrierechancen, Freizeitmöglichkeiten, kulturelle Angebote und die Kommunikation all dieser Themen in der und durch die Stadt Arnsberg befragt. Aus dieser Befragung und ihren Ergebnissen ist ein breit angelegtes Projekt entstanden: Unter dem Namen „Generation Zukunft Arnsberg" haben die Initiatoren der Stadt und die BürgerStiftung Arnsberg die gewonnenen Erkenntnisse gemeinsam mit den Jugendlichen umgesetzt. Die Wünsche und Bedürfnisse der jungen Generation sollen so stetig in die Stadtentwicklung mit einfließen.Was wissen Arnsberger Jugendliche von ihrer Stadt? Wo sehen sie ihre berufliche Zukunft? Was gefällt ihnen hier und wo sehen sie Verbesserungsbedarf in den Handlungsfeldern Freizeit, Karriere, Kultur und Kommunikation? Dies wurde in einem Onlinefragenkatalog von über 50 Fragen bei den Jugendlichen erfragt und ca. 2.000 haben geantwortet.
kinderstark: Mit welchen Ergebnissen?
Eckhoff: Elf Projektideen wurden in einer Workshop-Phase in Arbeitsgruppen, an denen Jugendliche und Vertreter*innen aus Verwaltung, Wirtschaft, Unternehmen, Politik und Kultur beteiligt waren, entwickelt und umgesetzt. Einige konnten direkt umgesetzt werden (z.B. die Beleuchtung einer Skateranlage unter einer Brücke), einige brauchten hingegen Zeit (bspw. die Weiterentwicklung der Ausbildungsmesse). Aus dem Wunsch der Jugendlichen nach mehr digitaler Erreichbarkeit, Information über kommunale Angebote und Austausch über digitale Plattformen wurde z.B. die „Arnsberg-App“ konzipiert.
Auf wirtschaftlicher Ebene ging es um eine Förderung des Ausbildungsmarktes. Den Arnsberger Auszubildendenbetrieben ist aufgefallen, dass sich sehr wenige Gymnasiasten oder junge Menschen, die das Abitur anstreben, für Ausbildungsberufe interessieren. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die dualen Studienmöglichkeiten. Da ist schon eine ganze Menge Potenzial weggegangen und die Schulen haben zugegeben, dass sie ihre Schüler für die Universitäten ausbilden und nicht für Ausbildungsberufe. Die Jugendlichen meldeten in der Befragung zurück, dass ihnen ausreichende Informationen über Ausbildungsberufe fehlen. Dies war besonders auffällig bei den Schüler*innen der Gymnasien. Über ein Sponsoring von unserer BürgerStiftung war es möglich einen Ausbildungsatlas zu erstellen. In der Arnsberg-App konnte man dann beide Projekte miteinander verbinden. Jetzt können die Ausbildungsunternehmen sich in einem Ausbildungsatlas direkt in der App vorstellen und über die jeweiligen Ausbildungsberufe informieren.
kinderstark: Wo haben die Jugendlichen im kulturellen Bereich Bedarfe angemeldet?
Eckhoff: Weil die Jugendlichen immer vor dem Problem standen: Wo gibt's Möglichkeiten als junge*r unbekannte*r Musiker*in oder Künstler*in auch mal vor Publikum aufzutreten?, haben viele von ihnen angegeben, dass die Kulturszene dringend eine „Open Stage“ für Bandauftritte oder Poetry Slams braucht. Wir haben damals über die am Projekt beteiligten Auszubildenden und mit starker Unterstützung vom Kulturbüro die Gruppe „KulturAlarm“ ins Leben gerufen. Die haben dann Open-Stage- Mini-Festivals organisiert, inklusive dem kompletten Bühnenmanagement. Es gab reihum an verschiedenen Orten in Arnsberg mehrere Veranstaltungen, an denen junge Künstler*innen spontan auf die Bühne durften. Das hatte großen Erfolg. In der Hoch-Zeit konnten die Jugendlichen gar nicht mehr spontan die Bühne betreten, sondern mussten sich vorher anmelden, weil so viele junge Künstler*innen mitmachen wollten.
kinderstark: Gab es weitere kulturelle Projekte?
Eckhoff: Ja, ein Filmprojekt, das inzwischen seit drei Jahren besteht. Die Jugendlichen selbst hatten den Wunsch danach, sich mit dem Medium Film zu beschäftigen. Hierbei ging es nicht nur um Schauspiel, sondern um eine komplette Produktion, von Drehbuch, Maske, Film, Schnitt, Musik, etc. Wir vom Familienbüro haben gemeinsam mit Kolleg*innen von einem Jugendzentrum, Jugendliche in einer kleinen Gruppe zusammengetrommelt. Im ersten Jahr war es ein Fantasy-Film, im zweiten ein Horrorfilm, und jetzt, im dritten Jahr, ist es ein Film über die Holocaust-Leugnung geworden. In Kooperation mit einem Altenheim haben wir mit circa 40 Jugendlichen einen Film gedreht. Die Jugendlichen wurden von zwei Filmemacher*innen unterstützt, die die Kamera und den Schnitt übernommen haben. Die Jugendlichen selbst waren vom Drehbuch, über das Schauspiel, bis zum fertigen Produkt beteiligt. Der Film erzählt vom Schicksal des elfjährigen Hüsteners Werner Grünewald, der im März 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Mit dem Film „Noah“ sind wir in Wuppertal mit dem zweiten Platz des Deutschen Generationenfilmpreises ausgezeichnet worden. Unter 640 Filmen ausgewählt zu werden, das ist für die Jugendlichen natürlich eine tolle Erfolgsgeschichte, die sie ihre Selbstwirksamkeit spüren lässt.
kinderstark: Wie wurde das Filmprojekt finanziert?
Eckhoff: Das Kamerateam sowie das Arnsberger Filmstudio wurden über Projektgelder des Landesjugendplanes des LWL finanziert. Das Drehbuch und auch die Locationsets haben die Jugendlichen eigenständig entwickelt. Den Ton hat einer der Jugendlichen selbst gemacht, das hatte er sich im Laufe seiner „Filmkarriere“ selbst beigebracht.
kinderstark: Wie nachhaltig wirksam sind die umgesetzten Projekte?
Eckhoff: Inzwischen hat sich die Arnsberg-App zu einer Bürger-App weiterentwickelt, die auch erwachsene Bürger*innen nutzen, z.B. als Meldesystem, um Beschwerden abzugeben. Etwa, „der Spielplatz ist wieder versaut“. Es können auch Fotos hochgeladen oder Standorte geteilt werden. Das Familienportal Guter Start NRW ist in die App eingebettet. Die Familienkarte Arnsberg, kann man digital beantragen und in der App freischalten lassen. Über das Kartensystem kann man sich alle Einrichtungen vom Bürgerbüro, Jugendzentrum, Kita, Sportverein bis zum Altglascontainer anzeigen lassen und sich darüber informieren. Der städtische Veranstaltungskalender ist genauso abrufbar, wie der Abfallkalender und der Busfahrplan. Die Jugendlichen haben den Grundstein hierfür gelegt und sich aber mittlerweile zunehmend davon verabschiedet. Es ist wie damals bei Facebook, als die Jugendlichen merkten, dass die Eltern sich auch dort angemeldet haben, waren die da ruckzuck weg.
Ein weiteres Problem der Beteiligung von Jugendlichen ist immer, dass die Jugendlichen ja älter werden, irgendwann studieren oder weg von Arnsberg in Brot und Arbeit gehen. Das „Open Stage“-Projekt lief drei Jahre sehr erfolgreich, lebte von einer Gruppe Jugendlicher, die jetzt aber nicht mehr da sind. Seit letztem Jahr ist das Projekt „ein bisschen in die Jahre gekommen“. Unsere Aufgabe ist jetzt, das Projekt neu zu starten, mit neuen Leuten. Denn es wurde immer gut angenommen und hat den Kids eine Möglichkeit geboten, kulturell aktiv zu sein und sich für etwas zu engagieren. Wir haben in Arnsberg jetzt seit dem vergangenen Sommer Kulturangebote, die von der Wirtschaft aufgenommen wurden, die stark an das Open Stage Format erinnern. Dort kommen auch Erwachsene hin. Da ist ja auch nichts gegen einzuwenden. Und solange Jugendliche Auftrittsmöglichkeiten bekommen, wäre es ja auch okay.
kinderstark: Gibt es auch noch offene Projekte, die Sie in Zukunft umsetzen werden?
Eckhoff: Für den Stadtteil Hüsten haben wir mit einer starken Jugendbeteiligung ein Konzept für ein neues Jugendzentrum erarbeitet. Ein Architektenbüro hat die Wünsche und Vorstellungen in Zusammenarbeit mit den Jugendlichen eingearbeitet. Letztlich konnten die Jugendlichen das Ding also mitentwerfen auf dem Papier. Wir haben hier von Beginn an mit den Jugendlichen mit offenen Karten gespielt und erläutert, dass die Umsetzung ihrer Ideen erst mit den entsprechenden Finanzen möglich ist – so konnten wir Frustration vermeiden. Stand heute ist, die Fördergelder wurden mehrmals abgelehnt. Jetzt arbeiten wir gemeinsam mit den Jugendlichen daran andere Wege für eine neue Einrichtung zu finden.
kinderstark: Die Angebote sind aus einer Befragung und darauf aufbauenden Projekten erwachsen. Welche Formen der Jugendbeteiligung gibt es in Arnsberg sonst noch?
Eckhoff: Das gesamte Projekt basierte auf den Fragen: Wie attraktiv ist die Stadt Arnsberg für Jugendliche und welche Beteiligungsformate wünschen sie sich überhaupt? Gerade in Kommunalwahlzeiten bemühen wir uns, Jugendliche zu beteiligen, um ihnen politische Mitbestimmung zu ermöglichen. Ich mache das jetzt über 20 Jahre und jedes Mal fordert die Politik ein Jugendparlament. Wir haben aber immer noch kein Parlament, weil die Jugendlichen uns regelmäßig sagen: „Wir wollen projektorientiert beteiligt werden!“
kinderstark: Warum nicht fest verankert?
Eckhoff: Unter unserem alten Bürgermeister wurde beschlossen, dass es im Ausschuss „Schule, Jugend und Familie“, einen Sitz für Schülervertretungen gibt. Nach anfänglich intensiver Arbeit der Schüler*innenvertretungen, mit Unterstützung vom Familienbüro, wo die entsprechenden Ausschussvertreter*innen gewählt wurden, ließ das Engagement dann doch nach einiger Zeit nach und immer weniger kamen zu den Treffen. Ein Grund hierfür ist, dass die SV-Kultur in Arnsberg sehr stark auf die Schulen zentriert sind und nicht auf die Stadt und den Sozialraum. Der Sitz wurde dann immer an den/die Schülervertreter*in einer Schule weitervererbt, und irgendwann hat er/sie dann berechtigterweise gesagt: „Ich finde es ja total interessant, dass ich im politischen Ausschuss sitze, aber ich weiß gar nicht, warum ich hier sitze, weil ich keine Legitimationen habe. Ich kann vielleicht für meine Schule sprechen, aber nicht als Schülervertreter*in aller Arnsberger Schulen.“ Da sich keine gesamtstädtische Schüler*innenvertretung etablieren konnte, haben wir uns dann dazu entschieden den Platz zunächst nicht wieder zu besetzten. Jugendliche in Arnsberg wollten bisher, wie gesagt projektorientiert beteiligt werden und haben dies auch eingefordert. Im Rahmen des neuen kommunalen Kinder- und Jugendförderplanes wollen wir nun, mit Unterstützung des LWL gemeinsam mit den Jugendlichen nach neuen verbindlichen Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene suchen.
kinderstark: Ist es trotzdem gelungen, die Interessen von Jugendlichen auf die politische Agenda zu setzen?
Eckhoff: Das hat, wie man an „Generation Zukunft“ sieht, gut geklappt. Das Problem ist halt bei dieser projektorientierten Beteiligung, dass wir immer Beteiligungswellenbewegungen haben. Egal ob mit oder ohne Jugendparlament oder sonstigem Gremium gab es immer schon gute Chancen und Möglichkeiten in der Kommune Ideen umzusetzen. Diese müssen die Jugendlichen natürlich kennen bzw. man muss sie ihnen bekannt machen. Auch bei den jungen Menschen gibt es die Stakeholder und Macher*innen, diese zu finden und begeistern und motivieren, das sehen wir als unsere Aufgabe im Familienbüro an. Gerade wünschen sich die Jugendlichen eine Dirt Bike Anlage. Wenn man gemeinsam am Ball bleibt, dann ist da eine ganze Menge möglich. Unser Filmprojekt zeigt das auch. Wenn da nicht am Anfang ein paar Jugendliche gewesen wären, die gesagt haben: „Wir haben keine Ahnung wie das geht, aber wir wollen es wirklich machen und wir sind bereit dafür Zeit und Energie einzusetzen aber wir brauchen hierbei Unterstützung.“ dann wäre es nie entstanden.
kinderstark:Und die Beteiligung funktioniert durch Ihren steten Kontakt zu jungen Leuten in Jugendtreffs. Und wo noch?
Eckhoff: Durch direkte Ansprache in Jugendtreffs, Schule und auch auf der Straße. Nach § 8 SGB VIII sind wir dazu verpflichtet Kinder und Jugendliche an allen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen. Die Kolleg*innen aus dem Familienbüro versuchen das immer mitzudenken und entsprechend zu fördern. Unsere Schulsozialarbeiter*innen, Streetworker*innen und die Kolleg*innen aus der offenen Jugendarbeit haben den direkten Draht zu den Jugendlichen und daher die besten Möglichkeiten dazu.
kinderstark: Zusammengefasst: Es gab längerfristige, aber eher projektorientierte Beteiligungsformate. Aktuell überlegen Sie aber, wie sie Beteiligung dauerhaft fester verankern können?
Eckhoff: Unser Ziel ist es auf jeden Fall in Zukunft einen festen Kreis mit Jugendlichen zu haben, die sich beteiligen wollen, um eine kontinuierliche Arbeit stattfinden zu lassen. Sodass nachfolgende Jugendliche auf dem aufbauen können – vielleicht auch mit entsprechenden Räumlichkeiten und hauptamtlicher Unterstützung durch Kolleg*innen vom Familienbüro – damit man über die Jahre eine kontinuierliche Arbeit reinbekommt, vielleicht sogar ein Anhörungsrecht im Ausschuss.
Zur Zeit stellen wir den neuen kommunalen Kinder- und Jugendförderplan für die kommenden fünf Jahre auf. Grundlage hierfür ist auch eine starke Beteiligung der Jugendlichen. Unter anderem läuft gerade eine erneute Umfrage in der 5., 7., 9. und 11. Klasse an allen Arnsberger Schulen. Diese kann Online oder per Fragebogen bearbeitet werden. Hier geht es wieder um Interessen, Bedarfe, Wünsche und Bereitschaft zur Mitarbeit in den verschiedenen Lebenslagen. Vom Umfang sind wir also in einem ähnlichen Bereich wie 2014. Die Antworten werden ausgewertet und in den Förderplan mit aufgenommen. In Teilbereichen sollen die Jugendlichen auf dieser Grundlage aktiv bei der Erstellung und der Umsetzung der Ziele beteiligt werden. Ein Ziel ist auch ganz klar: Die Etablierung einer kommunalpolitischen Beteiligungsform für Kinder und Jugendliche in Arnsberg.
Wer sich noch genauer über die Projekte und deren Umsetzung in Arnsberg informieren will, kann dies auf der Seite https://www.arnsberg.de/generation-zukunft-arnsberg tun.
Das Interview führte Lena Gilhaus.