language

11. Lernnetzwerktreffen: "Wir wollen alle an einem Strang ziehen"

Wie bilde ich Verantwortungsgemeinschaften zwischen Bildung und Kommune? Wo helfe ich am Übergang von der Förderschule in den Beruf? Wie unterstütze ich sinnvoll alleinerziehende Mütter? Das sind einige der Fragen, die beim 11. Lernnetzwerktreffen am 3. März 2015 in Unna diskutiert wurden. Die 18 Modellkommunen stellten Lücken in ihrer Präventionskette vor und fragten andere Kommunen um fachlichen Rat.

„Die Kinder sind die schwächsten Glieder in der Kette und darum sollten wir uns kümmern!“ Mit diesen Worten eröffnete Elke Middendorf, stellvertretende Landrätin des Kreises Unna das 11. Lernnetzwerktreffen in der Projektzeit von „Kein Kind zurücklassen!“ Seit über drei Jahren arbeiten die 18 Modellkommunen bereits am Aufbau von Präventionsketten in den Städten und Gemeinden und stehen dabei großen und kleinen Herausforderungen gegenüber. Aber sie sind nicht allein. Durch fachlichen Austausch können die 18 Kommunen einander beim Weiterkommen behilflich sein, sich unterstützen und beraten. „Wir wollen alle an einem Strang ziehen“, erklärte die stellvertretende Landrätin „und ich hoffe, dass es in den anderen Kommunen auch erste Ergebnisse und Erfolgserlebnisse gibt.“ Denn diese Erfolge sollen weiter gegeben werden, um andere Kommunen in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Gute Praxis-Modelle können oft nicht eins zu eins zu übertragen werden, weil in jeder Kommune andere Rahmenbedingungen herrschten. Die Landeskoordinierungsstelle hatte deshalb im Vorfeld mit einer Expertin und einem Experten von der Fachhochschule (FH) Köln eine Methodik zum sinnvollen Wissensaustausch und -einsatz erarbeitet. „Der Prüfstein dieser Methodik ist ihre Praxistauglichkeit für die Kommunen selbst. Und eine solche erste Prüfung wollen wir heute mit Ihnen gemeinsam durchführen“, sagte Dr. Heinz-Jürgen Stolz, Leiter der Landeskoordinierungsstelle, den Teilnehmenden.

Marco Becker, Referent im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, wies zuvor noch auf die drei europäischen Strukturfonds hin, die Mittel zum Aufbau präventiver kommunaler Angebote bereithalten. Dies sind der Strukturfonds für regionale Entwicklung „EFRE“, der europäische Sozialfonds „ESF“, der auch das Landesmodellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ fördert und der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung ländlicher Räume „ELER“, in dem Mittel für den Präventionsaufbau im ländlichen Raum reserviert sind.

Dann starteten Prof. Dr. Andreas Thimmel und Claudia Hermens von der FH Köln mit der Vorstellung des Kontextmodells für interkommunales Wissensmanagement. Die Experten setzten das Lernnetzwerk der 18 Modellkommunen mit einer „Wissensgemeinschaft“ gleich. Kennzeichen einer Wissensgemeinschaft seien gemeinsame Visionen und Zielperspektiven. Im Lernnetzwerk des Modellvorhabens sind dies folgende Leitgedanken: Vom Kind anstatt von Institutionen her zu denken, die Verknüpfung verschiedener Arbeitsbereiche in der sozialen Arbeit, der ganzheitliche Ansatz und das Konzept von der Lebensweltorientierung an Kindern, Jugendlichen und Familien. Motivation von Wissensgemeinschaften ist laut den Experten der Wissensaustausch, das Schaffen von Transparenz, das Teilen ähnlicher Probleme, die Förderung von Kreativität, einem Gemeinschaftsgefühl und daraus resultierende Synergieeffekte. Die Experten appellierten an die kommunalen Koordinatorinnen und Koordinatoren, diese Wissensgemeinschaft aktiv mit zu organisieren und sich mit anderen Planern strukturiert zu verbinden, um Wissen über die Fachpraxis auszutauschen. „Denn Sie sind Experten für Präventionsketten und die Bewältigung von Herausforderungen“, so Claudia Hermens Worte an das Plenum.

Um nun erfolgreich Wissen in der Gemeinschaft zu teilen, damit eine kommunenübergreifende Entwicklung vorangetrieben wird, müssten die Kommunen gemeinsam Andockmöglichkeiten für Gute Praxis  erschließen. Dafür sei wichtig, die Rahmenbedingungen, in denen sich bewährte Praxis entwickeln konnte, zu erörtern. „Die Kommune, die eine Vorreiterrolle hat, schaut mit der ratsuchenden Kommune, wo Anschlüsse liegen könnten“, fasste Thimmel zusammen. Für einen gelingenden Transfer müssten nach dem Kontextmodell vier Bereiche berücksichtigt werden: Die institutionelle Dimension meint Verwaltungsstrukturen, Spezifika der sozialen Dienste im öffentlichen Sektor oder auch die Geschichte und Struktur freier Träger. Die kommunal-sozialräumliche Achse umfasst Sozialdaten, Infrastruktur und auch Deutungen von Zahlen über die Menschen des Sozialraums. Die Diskurs-Ebene bezieht die Gestaltung von Aushandlungsprozessen mit ein, die Leitungshaltung, den gelebten Austausch, Befindlichkeiten und den interprofessionellen Austausch. Die individuelle Dimension meint schlussendlich die Gelingensbedingungen auf der Vorder- und Hinterbühne. Damit können Bemühungen einzelner relevanter Akteure, aber auch Konflikte zwischen verschiedenen Ebenen oder Cliquenbildungen gemeint sein, ebenso das Qualifikations-Niveau, individuelle Fähigkeiten, Erfahrungswerte, Soft Skills und informelle Netzwerke. Für das praktische Vorgehen riet Thimmel: „Stellen sie erst einmal heraus, wo es hakt, wo kommen wir nicht weiter?“ Die identifizierte Lücke solle dann den anderen Kommunen vorgestellt werden. Kommunen, die bereits Lösungsmöglichkeiten gefunden hätten, könnten dann Empfehlungen aussprechen.

Christin M. Jasper, kommunale Begleiterin von „Kein Kind zurücklassen!“, stellte die Entwicklung des Kontextmodells im Rahmen des Landesmodellvorhabens vor. Zur Vorbereitung wurden beim 10. Lernnetzwerktreffen bereits weit über 100 Fragen aus dem interkommunalen Austausch gesammelt und den Kategorien des Kontextmodells zugeordnet. Daraus abgleitet hatte die Landeskoordinierungsstelle das Kontextmodell um den FragebereichProjektbezogene Rahmenbedingungen“ erweitert. Damit sind konkrete Bedingungen gemeint, die das Projekt selbst betreffen, wie beispielsweise erforderliche Personalausstattung oder Öffnungszeiten. Wesentlich beim Kontextmodell sei, wie es als Instrument in der Kommunalen Begleitung eingesetzt werde. Der Austausch mit einer Kommune müsse strukturiert vorbereitet und durchgeführt werden, Fragen nach den Bedarfen und der Relevanz für das Vorhaben ausgesucht werden, ebenso solle es eine Nachbereitung mit der aufnehmenden Kommune geben, um neue Kontextfragen zu klären, so Jasper. „Die Landeskoordinierungsstelle hat ein handhabbares Vorgehen entwickelt, das den Austausch zwischen projektanfragender und projektabgebender Kommune zielgerichtet strukturiert.“, sagte die Kommunale Begleiterin. In der Nachbereitung mit der projektaufnehmenden Kommune  sollten dann alternative Vorgehensweisen angepasst an die Kontextbedingungen erarbeitet werden, um schließlich zu einer der Kommune angepassten Projektumsetzung zu kommen. Je öfter die Landeskoordinierungsstelle diese Transfertreffen durchführt, desto größer würden die Kenntnisse zu alternativen Vorgehensweisen in Kommunen, die dann immer wieder fallweise eingesetzt werden können, hofft Jasper.

Das Online Tool, das Marie Holmgaard, Sozialwissenschaftlerin beim Institut für soziale Arbeit, im Anschluss vorstellte, kann den Kommunen beim Wissenstransfer ebenfalls dienlich sein. Nach der baldigen Live-Schaltung können Kommunen mithilfe des Tools Bestandsaufnahmen von Träger-, Angebots- und Netzwerkstrukturen durchführen. Auf Basis der Ergebnisse eines Experten-Workshops wird aktuell ein umfassender Fragebogen erarbeitet, der in das Tool integriert wird. Dieser ermöglicht es den Usern, relevante Daten einzugeben und analysieren zu lassen.

Dann gingen die Kommunen in die praktische Arbeit. In einem Raster für kommunale Transferbedarfe trugen die Kommunen zunächst eigene Lücken und Herausforderungen, sortiert nach Standards für eine Präventionskette und bezogen auf Alterssegmente der Zielgruppe, ein. Jeweils zwei Kommunen stellten sich diese dann gegenseitig vor. Darunter fanden sich Fragen unterschiedlichster Fachbereiche und Zielgruppen. Darunter unter anderem:  „In welcher Kommune existiert eine Verantwortungsgemeinschaft zwischen Bildung und Kommune?“ „Wo finden sich Daten zum erfolgreichen Übergang von der Förderschule in den Beruf?“ „Wer hat Empfehlungen für sinnvolle kommunale Unterstützungsangebote für junge alleinerziehende Mütter?“ „Wie können Familien mit einjährigen Kindern umfassend erreicht werden, um Unterstützung anzubieten?“  

Im Plenum präsentierten die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter dann nicht die eigenen Fragen, sondern die der Gruppenpartner-Kommune. Im Anschluss wurden „Matches“ gesucht – Kommunen, die für die entsprechenden Lücken bereits sinnvolle Angebote geschaffen hatten. Mit Erfolg:  Für jedes Problem meldeten sich zwischen einer und fünf Kommunen mit potentiell hilfreichem Praxiswissen. Den Austausch zwischen Experten- und ratsuchenden Kommunen zu den vielen verschiedenen Fragestellungen werden die kommunalen Bergleiterinnen im Anschluss an die Konferenz herstellen und fachlich weiter begleiten.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Überblicksvortrag des Leiters der neuen „Fachstelle für sozialraumorientierte Armutsbekämpfung“ (FSA), Norbert Wörmann. Der Referent, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als bisheriger Bielefelder Koordinator von „Kein Kind zurücklassen!“ gut bekannt, weiß um die konkreten Chancen und Herausforderungen des Aufbaus von differenzierten Bestandsaufnahmen, die auf kleinräumigen und bereichsübergreifenden Daten basieren und einer daran anknüpfenden integrierten Sozialplanung. Die FSA ist als eigenständige Firma eine hundertprozentige Tochter des Landesministeriums für Arbeit, Integration und Soziales. Sie unterstützt die NRW-Kommunen, darunter Kreise und kreisfreie Städte, künftig beim Auf- und Ausbau einer entsprechenden integrierten Sozialplanung und wird damit in diesem für das Landesmodellvorhaben zentralen Gestaltungsfeld zum natürlichen strategischen Partner von „Kein Kind zurücklassen!“.

In dieses Raster trugen die Kommunen ihre persönlichen Angebotslücken ein. Bild: ISA/Lena Gilhaus.